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Die Schönheit des Alltags

Über Geschmack lässt sich vorzüglich streiten. Die Frage „Was ist schön?“ ist wohl der perfekte Einstieg für ein abendfüllendes Gespräch rund um die Themengebiete Kunst, Ästhetik, Wahrnehmung, Kultur und Design. Das Design der neuesten Edelkarosse aus Dingolfing/ Ingolstadt, vielleicht sogar die Spielweise des Serien-Meisters aus München oder die Fassade der Elbphilharmonie – es gibt genügend Gründe, sich in die Haare zu bekommen und sich anschließend wieder zu versöhnen.

Geschmack ist individuell und Schönheit allumfassend; und hier liegt der sprichwörtliche Hund wohl auch begraben. Die eigene Wahrnehmung und der eigene Geschmack sind der Gradmesser, ob wir etwas schön finden.

Setzt man sich mit Formgebung, der Kunstgeschichte oder einer halbwegs vernünftigen Modezeitschrift auseinander, man könnte meinen, dass das ausschlaggebende Kriterium für Schönheit „Überdrehtheit“ sei.
Vor allem der Print zeigt uns deutlich, dass „mehr viel hilft“. Hierbei müssen wir uns nicht in die barbusigen Gefilde des Haute Couture vorwagen. Schon die Anzeigen der Luxusmarken und Pseudo-Luxusmarken verraten den Hang zur Theatralik.

Warum nicht das Pferd von einer anderen Seite aufzäumen? Warum nicht die Kirche im Dorf lassen und der scheinbar spießbürgerlichen Normalität ein Lob- und Liebeslied darbringen? Es folgt ein Sonett an die alltägliche Ästhetik eines Max Mustermanns. Es folgt ein Chanson auf die alltägliche Schönheit eines Lieschen Müllers.

Alles Gewöhnliche …

„Das ist aber außergewöhnlich …“, wann haben Sie diesen Satz das letzte Mal verwendet? Und in welchem Zusammenhang?

Geht man den Worten auf den Sinn, so ist etwas, das außer unserer Gewohnheiten liegt, außergewöhnlich. Soweit – so gut … Ob es sich hierbei um einen positiven Aspekt handelt, das ist noch nicht zu Papier gebracht.

In der Formgebung (und in der Mode) ist das Spiel mit Schock, Aufmerksamkeit und außergewöhnlichen Augenblicken zum Must Have geworden. Es muss spannend sein, es muss außergewöhnlich sein, es muss eine Neuigkeit sein! Die Überschreitung des Gewöhnlichen wird zum Selbstzweck.

Die Schönheit des Alltäglichen liegt im herrlichen Pragmatismus und der Befreiung von effekthascherischen Muss-Effekten. Frei nach dem Motto: „Ein Tisch ist ein Tisch. Ein Kunstwerk ist ein Kunstwerk. Warum versucht alle Welt, aus einem Tisch ein Kunstwerk zu formen?“

Mit offener Leichtigkeit und klarer Zufriedenheit lassen wir einen Tisch einfach Tisch sein und erfreuen uns an den wirklich wichtigen Dingen rund um dieses Möbelstück. Die Qualität des Materials, die wertige Struktur der Oberflächen oder die einfache Erhabenheit der Zweckmäßigkeit. Hand aufs Herz; warum muss ein Tisch unbedingt ein Kunstwerk sein …

Ruhe und Entspannung als höchstes Gut

Beim nächsten Besuch in Ihrer Lieblingsbuchhandlung (Amazon zählt NICHT) werfen Sie einen Blick auf die Sparte „Esoterik und Lebensweisheit“. Das Gros der veröffentlichen Werke wird sich mit der Entschleunigung des Lebens auseinandersetzen.

Entschleunigung ist das neue Schwarz. Yoga, Entspannung, नमस्ते ( Namaste) und Tai-Chi die Buzzwords einer ganzen Industrie und ohne ein anständiges Selbstfindungskonzept ist man 2020 nicht im Bilde.
Ok, Ironie beiseite. Doch kann man klar und deutlich erkennen, dass der Anspruch an Entspannung in den eigenen vier Wänden stark im Kommen ist. Je schneller und je mehr die Arbeitswelt eskaliert, umso größer wird die Sehnsucht nach Entspannung im Zuhause.

Auch hier steht die Schönheit des Alltäglichen mit offenen Armen vor uns und flüstert: „Ich bin vollkommen für Deine Entspannung geschaffen…“. Eine Wohnung oder ein Haus, das „ pragmatisch, praktisch und gut“ ist, entspannt und dies auf eine sehr natürliche Art und Weise. Man könnte sich sehr weit aus dem Fenster lehnen und feststellen, dass die klassische Schrankwand „Eiche Massiv“ die bodenständige Version der indischen Entspannungskunst ist – ehrlich, unmittelbar, ein Fels in der Brandung.

Der Mittelpunkt

Was steht für uns im Mittelpunkt? Unsere Zufriedenheit, vielleicht Gesundheit, das Fehlen von Sorge oder vielleicht einfach wir …

Wenn wir uns zu sehr abhängig machen von austauschbaren Gütern, Autos, Handtaschen oder Luxusmöbeln können wir uns verfangen in einem Strudel aus ungesundem Konsum und der Tretmühle der Gier. Es muss immer weiter gehen, mehr Gewinn, mehr Aufmerksamkeit, mehr, mehr und immer mehr.
Und in den Untiefen dieser Welle aus Konsum und Geltungsbedürfnis lauert die Gefahr, dass wir uns selbst aus dem Mittelpunkt verlieren. In der Alltäglichkeit lässt es sich frei von überidealistischem Bohei tiefenentspannt verweilen.

Mittelmaß – im Mittel maßvoll

Mittelmäßigkeit galt lange Zeit als Unwort. Als abfällige Bewertung einer langweiligen Situation oder eines langweiligen Menschen. In der Mittelmäßigkeit liegt jedoch auch eine besondere Schönheit versteckt. Das Maß in die Mitte bringen ist nichts anderes als im Einklang mit sich selbst zu leben und natürlich auch einzurichten.

Frei von Drama und Übertreibung lebt es sich außergewöhnlich gut. Frei vom Zwang Marke zu tragen oder Designer einzurichten, lässt es sich freier einrichten und einkleiden. Und in dieser Schönheit des Alltäglichen erkennen wir, dass wir mehr sind als Möbel, Kleider, Autos und Modells. Wir sind, wer wir sind und mittelmäßig perfekt.